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Aktuelle Texte

Axel Dielmann

»Können Sie sich so etwas vorstellen?«

Wahrscheinlich mussten die Kuratoren fürchten, jemand stolperte über die Stufen beim Blick an ihre Wände, unachtsam vom Bilderansehen – kann es sein, dass ich eben unten an dem ersten Objekt der Ausstellung einfach vorbeigegangen bin? Nummer 1, »Schleier ohne Form. Vorhang…«. Muss an der Wand direkt zwischen Eingang und Abgang… »Lieber Herr Kollege…!«, und Aufgang angebracht gewesen sein, »… Vorhang. Höhe 310 cm, Breite 475 cm«, ich müsste das doch vom letzten Gangabschnitt her schon gesehen haben, wandhohes Ding. Was ich hier übersehe, geht mir durch den Kopf, wäre das Wesentliche. Was noch die schlichteste Form von Analyse ist. Eigentlich müsste ich, weiß ich, zurückgehen im sacht aufsteigenden Wendelstein. Aber er ist zu Ende, vor mir öffnet sich entlang einer letzten flachen Stufe das Anatomische Theater. Licht.

Dem rechteckigen Raum eingeschrieben ist das Oval einer hölzernen, braun glänzenden Balustrade, von der aus sieht man nach unten. Irgendwo wird hier geflüstert. In drei enger...

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Eine Mischung aus Etwas und Nichts
Eine Mischung aus Etwas und Nichts

Cornelia Wild (Hg.)

Medium Wolke

Wolken sind eigenartige Objekte. Es ist nicht einmal klar, ob sie überhaupt Objekte sind. Ihre Seinsweise und Organisation gleichen eher denen eines Ereignisses als eines Dings. Dampfförmige Entitäten ohne eindeutiges Material oder formelle Existenz! Der britische Gentleman und Wissenschaftler Luke Howard verlieh den Wolken in einer 1802 gehaltenen Vorlesung mit dem Titel Über die Modifikationen der Wolken ihr bis heute ­gültiges wissenschaftliches Benennungssystem (cumulus, cirrus, stratus usw.). Vielleicht meinte er mit »Modifikationen« schlicht »Arten«, faszinierender ist jedoch die Möglichkeit, dass...
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»Es gibt nichts zu erzählen!«
»Es gibt nichts zu erzählen!«

Chantal Akerman

Meine Mutter lacht

Ich bereite mich auf ihren Tod vor. Wie machst du das, fragt jemand. Ich versuche, mir mich ohne sie vorzustellen. Und ich denke, das wird gehen. Nicht für sie. Für mich. Oder das Gegenteil. Aber anscheinend kann man sich nicht wirklich vorbereiten, also vergeude ich meine Zeit. Sie hat schreckliche Lebenslust. Und du? Ich habe keine Ahnung.
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Literatur

Angelika Meier

Dreifaltigkeit meiner Zwirnspulenexistenz

In perfekt sitzender Uniform, die Hakenkreuzbinde frisch aufgebügelt, stehe ich in einer langen Schlange in einer amerikanischen Behörde, um einen Antrag auf einen total war zu stellen, doch nach stundenlangem Schlangestehen teilt mir der freundliche Sachbearbeiter mit, dass das application form for foreign aggressions im Saal nebenan zu erbitten sei. Da ich ein depressiver Faschist bin, lasse ich trotz meiner feschen braunen Uniform den Kopf immer recht schnell hängen und beschließe daher, für heute Schluss und lieber erst morgen den nächsten Versuch zu machen. Am nächsten Morgen stehe ich so auch tatsächlich wacker in der richtigen Schlange, habe dann aber nicht alle Papiere zusammen, um ordnungsgemäß einen total war zu beantragen. Neben der Geburtsurkunde (Original, keine Kopie!) fehlen mir zwei weitere Empfehlungsschreiben amerikanischer Staatsbürger. Man braucht fünf. Aber – ich dachte, drei… Nein, fünf insgesamt! Lächelnd hebt die Sachbearbeiterin ihre rechte Hand, die Finger anschaulich gespreizt. Wo ich doch aber schon...

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Tatsächlich ist die Frau eine uralte Erfindung
Tatsächlich ist die Frau eine uralte Erfindung

Alice Ceresa

Kleines Wörterbuch der weiblichen Ungleichheit

Es scheint allgemein anerkannt, dass Adam von Gott erschaffen wurde, um sich an der Welt zu erfreuen, und dass selbiger Gott aus dessen fünfundzwanzigster Rippe Eva machte. Da der menschliche Körper über vierundzwanzig Rippen verfügt (abzüglich der von Eva), darf man vernünftigerweise annehmen, dass es möglich gewesen wäre, aus Adams Leib weitere vierundzwanzig Evas zu gewinnen.
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Haifa’s architectural modernism
Haifa’s architectural modernism

Ines Weizman

The Architectural Casino

The Bat Galim Casino marks the point of connection for stories whose threads run along intercontinental channels to the French-American performer Joséphine Baker, while another narrative thread follows the hearing-impaired Viennese architect Adolf Loos and some of his clients, who emigrated to Haifa, highlighting the story of how home-sick migrants aimed to recreate a piece of Europe in Palestine. Weizmans encounter with architect and filmmaker Amos Gitai leads to a deeper investigation of the story of his father, Munio Weinraub,...
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Wissen

Sandra Frimmel

Warum soll das Kunst sein?

Ich hasse die Avantgarde. Wenn ein derart selbstironischer und selbstreflexiver Künstler wie Yuri Albert solch eine Aussage über Kunst trifft, dann sind Zweifel angebracht. Wie seine gesamte Serie Elitär-demokratische Kunst spielt auch dieser Werktitel bewusst mit einfachen Bejahungen und Verneinungen und rückt zugleich das Rezeptionsdilemma der Serie ins Bild: Ein (Groß-)Teil der künstlerisch vorgebildeten Betrachter sieht die Arbeiten in Stenografie als abstrakte Formen, ohne den Text zu verstehen, und nur die wenigen, die (russische) Stenografie lesen können, nehmen einen Text wahr, der für sie jedoch nicht zwangsläufig Kunst sein muss.

Ich hasse die Avantgarde entstand 2017 nach einer Skizze von 1987 als Reaktion auf eine veränderte Rezeptionssituation der nonkonformistischen Kunst. Mit Beginn der Perestroika konnte die inoffizielle Kunst, die bislang aus dem staatlichen Kunstbetrieb, d.h. aus der offiziellen Infrastruktur von Museen und Ausstellungsräumen sowie aus den Diskursen von Kunstwissenschaft und -kritik ausgeschlossen war, plötzlich in größeren, öffentlich zugänglichen Ausstellungen gezeigt werden....

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