Wir leben heute in einer kaputten Welt, die wir weiterhin kaputt schlagen. Gleichzeitig empfinden wir uns als Opfer, die ein Recht auf Schonung haben oder die zu Tätern werden dürfen, weil man ihnen Gewalt angetan hat.
Kriege und Kriegstreiber, Massaker, militärische Offensiven und Invasionen, Wehrtüchtigkeit, politische, sexuelle, rassistische, sprachliche, rechtliche, ethische, künstlerische Übergriffe, klimatische Katastrophen, Bellizismus, Xenophobie, Zensur: Nichts scheint so allgegenwärtig wie Gewalt in all ihren Äußerungen. Man kann es an der euphemistischen Rede von einer »Zeitenwende« ablesen – als wären die Zeiten je andere gewesen. Was aber ist Gewalt und wie funktioniert sie, wenn ihre Blindheit es zulässt, zwischen verschiedenen Funktionsweisen zu unterscheiden? Was macht eine zeitgenössische Kritik der Gewalt aus?
In seinem Essay Kaputt versteht Alexander García Düttmann Gewalt als Mittel zur Durchsetzung, das sich zwangsläufig verselbständigt. Gewalt erzeugt immer einen widerspenstigen Überschuss. Und er unterscheidet zwei Funktionsweisen der Gewalt und zeigt, wie beide sich trotz ihrer Unvereinbarkeit berühren und ineinander übergehen. Die eine Funktionsweise kennt nur Gewalt und Gegengewalt. Die Frage nach der Gewalt ist dann die Frage nach dem Verhältnis der Gewalten zueinander. Die andere Funktionsweise sucht durch Gewalt einen Zustand der Gewaltlosigkeit herzustellen. Die Frage nach der Gewalt ist dann die Frage, wie sich ein solcher Zustand gewaltfrei halten kann, wenn er zu seiner Herstellung der Gewalt bedurft hat.
Die eine Funktionsweise erörtert Kaputt im Zusammenhang mit Kriegsgewalt, mit einem Dilemma, das Freud in »Warum Krieg?« formuliert. Einerseits können wir es nicht vermeiden, gewalttätig zu handeln, andererseits können wir es ebenso wenig vermeiden, uns über jede gewalttätige Handlung zu empören. Die andere Funktionsweise der Gewalt erörtert Kaputt im Zusammenhang mit revolutionärer Gewalt, mit der von Benjamin eingeführten Doublette einer göttlichen Gewalt, die auch revolutionäre Gewalt ist, und mit den Aktionen der Stadtguerilla – der Roten Armee Fraktion – in der Bundesrepublik Deutschland der 1970er Jahre.
Ergänzt werden diese Erörterungen durch eine Glosse über Gewalt und Scheiße in Kunst und Kritik sowie durch zwei Studien zur literarischen Außerkraftsetzung des Rechts in Édouard Louis’ Roman über Sexualgewalt und in Marguerite Duras’ Zeitungsartikel über die Ermordung eines Kindes.