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Dirk Baecker: Korrektur
Korrektur
(S. 165 – 173)

Sache der Wissenschaft oder Person des Studenten?

Dirk Baecker

Korrektur

PDF, 9 Seiten

I.

Für mich gehörte die Disputation einer Bachelor- oder Masterarbeit bisher zu den Höhepunkten der Lehre an der Universität. Die Rollen des Prüflings und des Prüfers sind klar verteilt und spielen absehbar, nämlich nach der Prüfung (↑ Klausur), schon keine Rolle mehr. Es geht um das Ganze des Studiums, das der Prüfling in seiner Arbeit vielleicht zum ersten Mal begriffen hat – wie häufig wird der Eindruck formuliert, dass man jetzt wisse, worum es in dem Studium gegangen sei, und sich jetzt wünsche, es noch einmal von vorne beginnen zu können. Es geht darum, ob auch der Prüfer der Diskussion eines Themas gewachsen ist, in dem der Prüfling nach so vielen eher improvisierten Diskussionen im Seminar sich für dieses eine Mal einigermaßen auskennt. Und es ging, bisher zumindest, um die im Hintergrund mitlaufende, eher angespielte als durchgeführte Diskussion zwischen den Prüfern über das anstehende Thema.

Denn bisher waren es zwei promovierte Prüfer, denen sich der Prüfling stellen musste, sodass man sicher sein konnte, dass in der Prüfung jene Bedingungen herrschten, die für Immanuel Kant die Minimalbedingung der Aufklärung darstellten (Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, 1783): der öffentliche Gebrauch der Vernunft vor einem Publikum (↑ Bildung, kritische). Während der eine Prüfer prüfte und der Prüfling sich seinerseits prüfend den Fragen stellte, prüfte der andere Prüfer den Sinn der Frage und der Antwort und wartete auf den Moment, in dem er mit eigenen Fragen und möglicherweise auch eigenen Antworten diesen Sinn so modifizieren konnte, dass sie seiner Sicht der Dinge entsprach. Die Rolle des Publikums rotierte zwischen den beiden Prüfern und dem Prüfling, denn auch der Prüfling wurde zum Publikum, sobald es, was durchaus vorkam, zum Austausch der Argumente zwischen den Prüfern kam.

Endlich, so konnte man sagen, fand jener Teil der Wissenschaft statt, der an einer Universität den ihm angemessenen Ort hat: die Prüfung der Brauchbarkeit eines Wissens sowohl im Hinblick auf seine theoretische und methodische Durchdringung als auch im Hinblick auf seinen Beitrag zu einem Thema im Zweifel jener Wirklichkeit, denen der Prüfling im Begriff war, sich anschließend stellen zu müssen. Endlich stand die Forschung nicht mehr unter dem Gesichtspunkt ihrer Antragstellung, Durchführbarkeit und Publizierbarkeit, sondern unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zum Erwerb einer ↑ Kompetenz oder zur Steigerung von Reflexion auf dem Prüfstand. Es ging ums Ganze – und war doch nur eine Prüfung. Überflüssig zu sagen, dass man bei diesen Gelegenheiten sich und seine Kollegen besser kennenlernte als...

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Dirk Baecker

ist Soziologe und lehrt als Professor für Kulturtheorie und Kulturanalyse an der Zeppelin University in Friedrichshafen am Bodensee.

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Unbedingte Universitäten (Hg.): Bologna-Bestiarium

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Bologna-Bestiarium

Broschur, 344 Seiten

PDF, 344 Seiten

»ECTS-Punkte«, »employability«, »Vorlesung« – diese und viele weitere Begriffe sind durch die Bologna-Reformen in Umlauf geraten oder neu bestimmt worden und haben dabei für Unruhe gesorgt. Die Universität ist dadurch nicht abgeschafft, aber dem Sprechen in ihr werden immer engere Grenzen gesetzt. Anfangs fremd und beunruhigend, fügen sich die Begrifflichkeiten inzwischen nicht nur in den alltäglichen Verwaltungsjargon, sondern auch in den universitären Diskurs überhaupt unproblematisch ein.

Das Bologna-Bestiarium versteht sich als ein sprechpolitischer Einschnitt, durch den diese Begriffe in die Krise gebracht und damit in ihrer Radikalität sichtbar gemacht werden sollen. In der Auseinandersetzung mit den scheinbar gezähmten Wortbestien setzen Student_innen, Dozent_innen, Professor_innen und Künstler_innen deren Wildheit wieder frei. Die Definitionsmacht wird an die Sprecher_innen in der Universität zurückgegeben und Wissenschaft als widerständig begriffen.

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