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Tara Rodgers, Jonathan Sterne: Poetik der Signalverarbeitung
Poetik der Signalverarbeitung
(S. 122 – 137)

Tara Rodgers, Jonathan Sterne

Poetik der Signalverarbeitung

PDF, 16 Seiten

Signalverarbeitung ist einer der wichtigsten und zugleich am wenigsten untersuchten Aspekte gegenwärtiger Klangkulturen sowie elektronischer Medien im Allgemeinen. In akustischer Hinsicht beeinflusst sie eine Vielzahl von Bereichen, von Musik über verkabelte oder kabellose Übertragung, Rundfunksendungen, bis hin zu alltäglichen Gesprächen und Zuhören. Gerade weil sie in allen Stadien neuerer Sound-Produktion, -Reproduktion und -Rezeption implementiert sind, sind signalverarbeitende Prozesse als eigener Forschungsgegenstand schwer fassbar geblieben. In diesem Artikel geht es nun um eine Poetik der Audio-Signalverarbeitung – die gestaltenden Elemente des technischen Prozesses und dessen Repräsentationen in tontechnischen Diskursen. Der Fokus liegt auf zwei Metaphern, die im alltäglichen Sprachgebrauch von Musikern und Tontechnikern auf Signalverarbeitung angewendet werden: Kochen und Reisen. Mit Bezug auf Lévi-Strauss schlagen wir in diesem Artikel vor, dass Signalverarbeitung durch die Metaphern des Rohen und des Gekochten zu einer Kulturtechnik erhoben wird, die den Klang mit Hilfe spezialisierter Technologien und Techniken für den Genuss für andere «zubereitet». Mit diesem Argument wird die Verräumlichung des Signalflusses und das Design von Schaltkreis-Topologien im Kontext tradierter Vorstellungen des Reisens und der Reise verortet, die Erkenntnismodelle zum Klang beeinflusst haben. Wie auch in weiteren sozialen Kontexten markieren Kochen und Reisen als Metaphern für Signalverarbeitung kulturelle Verortungen (z.B. als vergeschlechtlichte, klassenspezifische, befähigte Positionierungen). Signalverarbeitung ist nicht nur unter dem Aspekt von Repräsentation zu betrachten, sie ist, und das mehr als andere technische Register, direkt mit zeitgenössischen kulturellen Politiken der Wahrnehmung und der Rezeption verknüpft. Während der vorliegende Artikel sich ausschliesslich auf Tontechnik konzentriert, schlagen wir vor, dass eine umfassende kulturelle Analyse der Signalverarbeitung sich mit ihrer zentralen Rolle alle Sinne betreffend zu befassen hätte.

  • Signalverarbeitung
  • Kulturtechniken
  • Sound
  • Sinne

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Deutsch

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Tara Rodgers

lehrt am Department für Women’s Studies an der University of Maryland und ist am Maryland Institute for Technology in the Humanities (MITH) und im Digital Cultures & Creativity Program tätig.

Jonathan Sterne

teaches in the Department of Art History and Communication Studies and the History and Philosophy of Science Program at McGill University. His interests include sound, the history and philosophy of technology, cultural studies, music and digital media.

Gesellschaft für Medienwissenschaft (Hg.): Zeitschrift für Medienwissenschaft 5

Die neuzeitliche Wissenschaft steht im Zeichen der Empirie. Als wissenschaftlich gilt vorzugweise, was Ergebnis von Experiment und Beobachtung ist und sich in mathematischen Größen ausdrücken lässt. Wer, wie in der Regel die Geisteswissenschaften, Theoriebildung nicht an Experimente mit serendipem Ausgang knüpft, gerät entsprechend unter Legitimationsdruck. Die Philosophie reagiert auf diesen Druck beispielsweise, indem sie vielerorts ihre alten Fragen zur Entscheidung an die Neurowissenschaft delegiert.

Die Medienwissenschaft nimmt hier eine in mehrfacher Hinsicht besondere Position ein: Zum einen sind Entstehung und Erfolg der naturwissenschaftlichen Empirie eng an mediale Möglichkeitsbedingungen gebunden. Zum anderen aber erhält die Entstehung der Disziplin oder des Feldes Medienwissenschaft selbst durch eine doppelte Abgrenzung Plausibilität: gegen eine materialitätsvergessene und damit ›zu wenig empirische‹ Geisteswissenschaft ebenso wie gegen eine ›bloß empirische‹ Kommunikationswissenschaft, die an den medialen Voraussetzungen von Kommunikation nicht interessiert ist. Darüber hinaus sind Radio, Film und Fernsehen historisch gesehen ohne das Steuerungswissen von Publikums- und Wirkungsforschung kaum denkbar – wobei nicht zuletzt die Netzwerkeffekte im Web 2.0, die weder prognostizierbar noch retrospektiv modellierbar sind, diesen etablierten Zusammenhang von Massenmedien und sozialwissenschaftlicher Empirie unterlaufen.

Gerade in einer Phase der dynamischen Entwicklung des Faches verdient aus medienwissenschaftlicher Perspektive noch einmal neu gedacht zu werden, was Empirie ist. Zunächst reklamieren unterschiedliche Ansätze der Medienwissenschaft starke, wenn auch spezifische Bezüge zu einer ›klassischen‹ Empirie – man denke an die Rückführung anthropologischer Theoriefiktionen auf technische Apriori oder die Nutzbarmachung der naturwissenschaftlichen Empirie von Neurobiologie und Kognitionspsychologie in medienästhetischen Zusammenhängen. Aber auch zwischen solchen Randpunkten zeichnen sich dynamische methodologische Diskussionen ab: In der New Film History und der Medienarchäologie wird mit akribischen Archivrecherchen und Modellen aus der Ökonomie und Wissenschaftsforschung gearbeitet; die Cultural Studies verfeinern weiterhin ethnographische und diskursanalytische Ansätze zur Analyse kultureller Praktiken und berühren sich dabei mitunter mit Ansätzen wie der Actor-Network-Theory und Theoriemodellen aus der Soziologie.

Der Themenschwerpunkt »Empirie« der Zeitschrift für Medienwissenschaft nimmt diese Spannungsfelder zum Ausgangspunkt, um das Konzept der Empirie historisch, theoretisch und wissenschaftspolitisch neu zu perspektivieren.

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