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Die Ungefügigkeit der Schrift

Sina Dell’Anno

Punk / Philologie
Über zwei Dinge, die alles und nichts miteinander zu tun haben

Veröffentlicht am 16.07.2021

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„Er las immer Agamemnon statt ,angenommen‘, so sehr hatte er den Homer gelesen.“[1] Georg Christoph Lichtenberg zeichnet das Portrait eines Philologen, dem über der intensiven Lektüre seiner Klassiker der Kontakt zur Welt abhanden gekommen ist. Die Komik des Aphorismus liegt nicht im Verleser allein, sondern im Umstand, dass der Philologe das alltägliche ,angenommen‘ gegen den sehr viel exotischeren Namen des griechischen Königs vertauscht; gleichsam als sei ihm die textkritische Maxime der lectio difficilior in Fleisch und Blut übergegangen. Dass Lichtenbergs Philologe, gerade weil ihm die kritischen Prinzipien seiner Lektüre zum Reflex geworden sind, den Text verfehlt, darin liegt, wie ich meine, die ins Tragische tendierende Ironie dieses hintersinnigen Notats.

Vielleicht aber ist gerade schon zum ersten Mal die Auslegerin mit mir durchgegangen, die nicht umhinkann, alles Geschriebene auf seinen tieferen Sinn zu befragen. Bleiben wir also zunächst beim Offensichtlichen: Der Physiker Lichtenberg mokiert sich über den verstellten Blick, über die Weltfremdheit einer Disziplin, die ihre Liebe zum geschriebenen Wort in endloser Relektüre kanonischer Werke praktiziert. So hat man die Philologie oft gesehen: als Bewahrerin sakrosankter Texte, als Verteidigerin der Autorität dichterischer Worte. Nichts könnte, aus dieser Perspektive, weiter auseinanderliegen als Philologie und Punk. Wo jene sich auf die einsame Versenkung in den mehr oder weniger alten Text spezialisiert, mit dem hehren Ziel, dessen Sinn zu ergründen und zu vermitteln, sucht dieser die Zerstörung, die Verweigerung von Sinn in der Unmittelbarkeit einer am Situationismus geschulten Aktions- und Lebenskunst. Indes hat bereits der Titel dieses Essays verraten, dass ich mich mit dieser Opposition nicht zufriedengeben kann. Tatsächlich ist es vielleicht gerade als Philologin, dass ich mich von der Behauptung, zwei Dinge hätten nichts miteinander zu tun, provoziert fühle, deren untergründige, nicht auf den ersten Blick sichtbare Verbindungen aufzuspüren. Das sei auf den nächsten Seiten versucht.


Abfall –– trash philology

Bei Lichtenbergs Aphorismus handelt es sich um einen von vielen Witzen auf die notorische Schrulligkeit des Philologen, auf sein närrisches Spezialistentum. Die Geistferne seiner mikrologischen Pedanterie ist ein wiederkehrendes Thema zahlreicher Philologensatiren. In zeitlicher Nähe zu Lichtenberg beschreibt Jean Paul den Protagonisten seiner Idylle, den Schulmeister Fixlein, als einen ebensolchen geistfernen Philologen: Nicht nur studiert er mit Vorliebe Makulatur, also Altpapier; seine philologische Forschung beschränkt sich auf die masoretische Erfassung der Häufigkeit, in der gewisse Buchstaben in der Bibel vorkommen. Sein magnum opus aber ist eine „Sammlung von Druckfehlern deutscher Schriften“, das der Erzähler folgendermaßen charakterisiert: „[Fixlein] verglich die Errata untereinander, zeigte, welche am meisten vorkämen, bemerkte, daß daraus wichtige Resultate zu ziehen wären, und riet dem Leser, sie zu ziehen.“[2] Das mag auf den ersten Blick als eine grotesk überspitzte Satire auf die Geistlosigkeit der philologischen Praxis erscheinen. Indes eignet gerade Fixleins „Achtung aller Makulatur“, der philologischen Neigung zum Wertlosen, ein subversives Potential: Indem der Philologe seine Sammelleidenschaft auf das Fehlerhafte, das als nutzlos Ausgeschiedene, konzentriert, verhindert er dessen Verdrängung aus dem öffentlichen Bewusstsein. Auf den zweiten Blick zeigt sich die von Jean Paul portraitierte Beschränktheit von Fixleins Philologie mithin als eine Form der Rebellion – und damit als eine überraschende Verbindung der Philologie zum Punk.

Die überraschende Einsicht, dass ausgerechnet der einfältigsten philologischen Praxis ein subversives Potential eignet,[3] lässt sich vielleicht an keiner anderen der zahlreichen schrulligen Philologen-Figuren in Jean Pauls Werk besser verdeutlichen als an einem gewissen Kantor Schnäzler. In ihm gewinnt die der Philologie eigene Hinwendung zu den Überresten der Tradition ein ebenso närrisches wie rebellisches Profil. Als passionierter Hobby-Philologe geht der Kantor nämlich dadurch gegen die Expurgation der Kirchenlieder an, dass er aus den im Zuge der Neuedition weggestrichenen Versen neue Lieder zusammenflickt. Indem Schnäzler dergestalt seinem sprechenden Namen Ehre macht, wird er, wie vor ihm schon der makulaturverliebte Fixlein, zum Vertreter einer ,punk philology‘ avant la lettre:


Der Kantor Schnäzler […] verglich das alte und das neue Gesangbuch und kehrte die schönen Stellen des alten, die die ästhetische Tempelreinigung aus dem neuen weggefegt hatte, wieder auf einen Haufen und schlichtete wirklich dieses Raff- und Leseholz zu guten besondern Liedern zusammen. […] Dieser geistreiche Mann hat nicht nur aus alten Gesangbüchern alles, was aus den neuen weggelassen worden, vollständig ausgehoben und zusammengehäuft [...], sondern er hat auch – was wir wohl bei einer kastrierten Ausgabe lateinischer erotischen Dichter finden, in der hinten zwar alle anstößigen Stellen stehen, aber isoliert, ohne in den geringsten Nexus gefugt zu sein — aus diesen weggeworfenen Stummeln, hölzernen Beinen und Krücken schöne Figuren musivisch zusammengelegt […].[4]


Wie so viele Philolog*innen ist Schnäzler in erster Linie ein Materialsammler. Indem er das zusammengesuchte ,Raff- und Leseholz‘ kreativ, in ,besondern Liedern‘, zu neuer Erscheinung bringt, rettet er es vor dem drohenden Vergessen. Auch hier ist es die dezidierte Hinwendung zum Abfall, zu den ,weggeworfenen Stummeln‘, die das subversive Potential dieser philologischen Praxis ausmacht; und ihre Affinität zum Punk. Denn von ebendem Abfall, den zu retten der Philologe Schnäzler sich zur Aufgabe macht, hat die Gegenbewegung des Punk ihren Namen: „punk“ bedeutete ursprünglich, wenn man dem wiktionary glauben kann, „rotten wood dust used as tinder“.[5] Als Inbegriff des Wertlosen wurde das Wort dann auch zur abfälligen Bezeichnung für die gesellschaftlich Marginalisierten, für Prostituierte und sexuell anders Orientierte. Die Punk-Subkultur erhebt solche, von der Mehrheitsgesellschaft als skandalös empfundene, Devianz zum provokativen Habitus. Offensiv tragen Punks ihre Marginalität zur Schau, indem sie sich in zerrissene Lumpen kleiden und mit wertlosen Alltagsgegenständen wie Sicherheitsnadeln schmücken. Durchaus Vergleichbares praktiziert, wenn auch kaum in bewusst provokativer Absicht, der philologische bricoleur Schnäzler. Seine Cento-, also Flickgedicht-Produktion drängt das, was gemeinhin als ,anstößig‘ aus dem Bereich des Kanonischen verbannt, zensiert oder ,kastriert‘ wird, abermals ins Blickfeld und muss damit unweigerlich die ,ästhetischen Tempelreiniger‘ brüskieren.

Auch wenn es sich bei Fixlein und Schnäzler um Karikaturen handeln mag; Jean Paul trifft mit der auf die trash-Ästhetik des Punk vorausweisenden Abfallverarbeitung seiner Amateur-Philologen durchaus einen charakteristischen Zug der philologischen Praxis. Das subversive Selbstverständnis eines literarischen Lumpensammlers dokumentiert mit besonderem Nachdruck eines der eindrücklichsten Zeugnisse philologischer Textanhäufungswut: Robert Burtons Anatomy of Melancholy (erstmals 1621). Auf fast tausend Seiten findet sich in diesem Buch nahezu alles schriftlich tradierte Wissen über die Krankheit der Melancholie aufbereitet, oder vielmehr, wie es der Titel verheisst, anatomisch zergliedert. Die Anatomy ist ein in seiner (Un-)Art singuläres Monument jener ,punk philology‘, der sich auch Schnäzler – schon dem Namen nach ein Nachfolger des humanistischen Anatomisten – verschreibt. Bei Burton tritt die rebellische, provokative Seite dieser philologischen Lumpensammlerei deutlich hervor. Der Autor, der unter dem Pseudonym Democritus Junior auftritt, beschreibt sein gigantisches Sammelwerk als den letzten Dreck: „a rhapsody of rags gathered from several dunghills, excrements of authors, toys and fopperies confusedly tumbled out, without art, […] harsh, raw, rude, phantastical, absurd, insolent, indiscreet, ill-composed“[6] – mit anderen Worten: Diese ,Abhandlung‘ ist punk; eine einzige, buchgewordene Provokation des guten Geschmacks und des wissenschaftlichen Anspruchs auf Klarheit und Systematik. Mit der bestürzenden Unform dieses literarischen Ungetüms direkt zusammen hängt der Umstand, dass es sich bei seinem Autor in erster Linie um einen Leser handelt. „I have read many books“, schreibt Democritus in seinem Preface, „but to little purpose, for want of good method I have confusedly tumbled over divers authors in our libraries […]“.[7] Die Anatomy ist also vor allem das Dokument eines ebenso unersättlichen wie ungeregelten Lesens; das Produkt einer melancholischen écriture-lecture, eines unsteten Durchstreifens von Büchern und Bibliotheken. Das zerrissene Flickwerk, die garbage-Ästhetik einer textuellen Lumpensammlung, ist von der melancholischen Lektüre, der sich dieses kuriose Denkmal humanistischer Gelehrsamkeit verdankt, nicht zu trennen. Indem Burton die rastlose Bewegung seiner Lektüre durch Unmengen überlieferter Literatur evoziert, verweist er uns auf den Ursprung und den Inbegriff jener charakteristischen Melancholie, die der philologischen Gelehrsamkeit nachgesagt wird. Wer derart kreuz und quer Buch um Buch durchpflügt, dem wird die Überlieferung zum bloßen Steinbruch, dem zerfällt das Wissen in tausend Teile. Es ist gleichsam der melancholische Teufelskreis von Burtons Anatomy, dass sie diese Dissoziation zum Prinzip des Schreibens erhebt. Damit lässt Burtons Werk zugleich eine Seite der Philologie in den Blick geraten, der ich hier besondere Aufmerksamkeit schenken möchte. Es ist dies ihre saturnische Seite.


Das saturnische Lesen

Ich bin Philologin. Genauer gesagt, bin ich eine glückliche Philologin. Dennoch ist die Melancholie meine ständige Begleiterin, mein zweiter Vorname. Ohne ihr im Geringsten zu ähneln, sitze ich manchmal wie Dürers Melencolia inmitten meines wissenschaftlichen Gerümpels, inmitten von Büchern und Bildschirmen, und wünsche mir mich selbst vom Hals: MELENCOLIA I! Geh, Melancholie. George Steiner hat darüber geschrieben, „warum Denken traurig macht“.[8] Ich habe mich oft gefragt, ob es nicht heißen müsste, „warum Lesen traurig macht“. Denn das Lesen ist das Metier der Philolog*innen – und die Quelle ihrer Melancholie.

Lesend unternehmen Philolog*innen den Versuch, dem Text, der ihnen die Welt ist, einen Sinn abzugewinnen, nur um eins ums andere Mal zu erfahren, dass dieser Sinn sich ihnen entzieht. In dieser Hinsicht sind wir von einer bemerkenswerten Unbelehrbarkeit: Immer wieder lassen wir uns von einem Sinnversprechen in die Untiefen eines Textes locken, dem wir mit aller, oft verspotteten, Sorgfalt und Akribie auf die Spur kommen möchten. Was wir aber in den Tiefen des Textes erfahren, ist, dass die Sprache gerade nicht gemacht ist, stabile Bedeutungen zu transportieren. Ganz im Gegenteil. In der Erkundung dieses Gegenteils hat die Philologie, als ars critica, ihre Berufung. Das ist es auch, was sie mit dem Punk verbindet. So sehr beide sich in ihrer Selbstinszenierung unterscheiden mögen: Tatsächlich sind Philolog*innen und Punks Expert*innen des Sinnentzugs.

Gerade wo die Philologin über dem Wissen um die Instabilität aller Bedeutung melancholisch wird, sieht sie sich zur performativen Sinnverweigerung des Punk hingezogen – oder als stille Genossin mit seinem lauten Protest in eine Ecke gestellt. Harmut Böhme hat die gesellschaftskritische Dimension des melancholischen Menschen präzise beschrieben:


Er verkörpert das Temperament, an dem die verbindlichen Sinnangebote und Werte der Gesellschaft abprallen. Mit der Hartnäckigkeit seiner schwarzen Gesinnung, seinem ungläubig in die leere Ferne schweifenden Blick, mit der Düsternis seiner Gefühle stört er das Sinn- und Normengefüge der Kultur. Der Melancholiker ist Störenfried, weil er den gesellschaftlichen Konsens stört […].[9]


Ihre saturnische Seite lässt die Philologie zum ,Störenfried‘ einer auf unbeugsamen Optimismus und Leistungswillen gebauten Gesellschaftsordnung werden. Von der Zukunftsgewandtheit dieser Gesellschaft kehrt sie sich ab, indem sie den Blick auf die Bruchstücke der Überlieferung, auf die Ruinen der Vergangenheit wendet. ,No Future‘. Wie bereits angedeutet, ist die philologische Melancholie indes nicht nur eine Angelegenheit des zurückgewandten Blicks. Vielmehr hat sie ihre tieferen Wurzeln in der Praxis des Lesens, mithin in der kritischen Tätigkeit selbst. Wer den untergründigen Verbindungen von Philologie und Punk auf die Spur kommen will, muss dieser saturnischen Praxis nachspüren.


Lesen heißt Sammeln, legere. Wer liest, begegnet einem Zusammenhang nicht als einem gegebenen, sondern als einem allererst oder allenfalls wieder herzustellenden. Die schriftlich überlieferte Vergangenheit zeigt sich der Philologin als eine Sammlung von Fragmenten, disiecta membra, deren ursprüngliche organische Einheit wieder herzustellen ihre Aufgabe ist. Dass es sich um keine leichte Aufgabe handelt, darauf deutet der griechische Name der philologischen ,Untersuchung‘: ζήτημα, bekannt als Titel der altertumswissenschaftlichen Schriftenreihe Ζητήματα (,Forschungsfragen‘). Wörtlich ist das ζήτημα bloß ,das Gesuchte‘ (abgeleitet von ζητεῖν, suchen); aber die literarischen Belege für dieses Suchen verbürgen seine Beschwerlichkeit: Bei Euripides berichtet der Bote von Pentheus, der im bacchantischen Taumel von seiner Mutter und ihren Gefährtinnen in Stücke zerrissen wurde (Eur. Ba. 1137–1139):


κεῖται δὲ χωρὶς σῶμα, τὸ μὲν ὑπὸ στύφλοις

πέτραις, τὸ δ᾽ ὕλης ἐν βαθυξύλῳ φόβῃ,

οὐ ῥᾴδιον ζήτημα

In Stücken liegt sein Körper, teils unter schroffen Felsen,
teils im dichtbelaubten Unterholz des Waldes,
nicht leicht zu finden.


Den grauenhaften Befund bestätigt wenig später Kadmos, als er „mit den Überresten des Pentheus“ in seinen Palast zurückkehrt (Eur. Ba. 1218–1221):


οὗ σῶμα μοχθῶν μυρίοις ζητήμασιν

φέρω τόδ᾽, εὑρὼν ἐν Κιθαιρῶνος πτυχαῖς

διασπαρακτόν, κοὐδὲν ἐν ταὐτῷ πέδῳ

λαβών, ἐν ὕλῃ κείμενον δυσευρέτῳ.


Erschöpft von endlosem Suchen bringe ich seinen Körper, denn ich habe ihn in den Schluchten des Kithairon gefunden, in Stücke zerrissen; nicht zwei Glieder konnte ich von derselben Stelle sammeln im unwegsamen Wald.


Wie dieses traurige Zusammensammeln, so ist auch das philologische Lesen οὐ ῥᾴδιον ζήτημα, keine leichte Aufgabe. Es ist Aufgabe vielmehr in dem Doppelsinn, in dem Walter Benjamin von der „Aufgabe des Übersetzers“ gesprochen hat,[10] als eine Berufung, in der das Aufgeben, das Scheitern, impliziert ist. Denn wie der lebendige Körper des Pentheus ist auch der eine und ganze Urtext, auf deren Suche die sammelnde Lektüre sich begibt, unwiederbringlich verloren. Er ist zerstört vom Zahn jener gefräßigen Zeit (tempus edax), die sich in Saturn verkörpert.[11] Aus dem Wissen um diesen Verlust, aus seiner stets erneuerten Erfahrung, speist sich die Melancholie der Philologie, ihre saturnische Seite. Das philologische Lesen steht im Zeichen Saturns, im Zeichen einer unheilbaren Zeitverfallenheit.

In einem Zeitschriftenbeitrag mit dem programmatischen Titel Saturnalien, den die Erde 1818 regierenden Hauptplaneten Saturn betreffend hat Jean Paul diese Zeitverfallenheit mit unverwechselbarer Prägnanz zum Ausdruck gebracht:


Jener Saturn soll das Jahr 1818 regieren, als ob er als Gott der Zeit nicht alle Jahrhunderte und jede kleinste Minute, in der man davon spricht, beherrschte. […] Wir wohnen auf lauter Vergangenheit, auf äußerer und innerer, und anstatt uns zu verwundern, daß auf dem untergesunkenen Herkulanum ein verschüttetes Portici liegt, brauchen wir nur in die Nähe hinzusehen, wie die leise niedersinkenden Schneeflöckchen der Zeit einander verschütten und begraben; – und die bisher durchlaufnen Buchstaben dieses Aufsatzes stehen als die Grabsteinchen der lebendig gewesenen Lesaugenblicke da.[12]


Für die Philologin ist die letzte Wendung die entscheidende: Im Zeichen Saturns, im Zeichen der Vergänglichkeit aller ,lebendigen Lesaugenblicke‘, zerbröckeln die bedeutenden Worte in ihre sinnlosen Bestandteile. Mit dem kippbildlichen Umschlag des sprechenden Textes in eine Ansammlung toter, todverkündender Buchstaben legt Jean Paul den Finger auf die Prekarität des Lesens, der lesenden Sinnstiftung: Alle Bedeutung beruht auf einem konstruktiven Akt der Verlebendigung, ohne dass der daraus entstehende Sinn seine Herkunft aus dem Friedhof der Buchstaben jemals ganz verleugnen könnte. Zerfall ist mithin die Kehrseite der Lektüre, und die Philologie ist, gerade weil sie dagegen an- und mit ihr umgeht, dieser Kehrseite eingedenk.

Jean Pauls Saturnalien sind für die Frage der saturnischen Philologie gerade deshalb von Bedeutung, weil sie, wie sich schon dem Titel ablesen lässt, der charakteristischen Ambivalenz der Gottheit Rechnung tragen, die seit alters her als Inbegriff des melancholischen Temperaments gilt. Denn tatsächlich wendet sich der Zeitschriftenbeitrag im Anschluss an den zitierten, elegisch-seufzenden Auftakt zur fröhlichen Feier einer entfesselten Gelehrsamkeit. Dieses Umschlagen der Trübsal in Überschwang hat in der Polarität Saturns sein mythologisches Fundament.


Kronos, Chronos, Saturn. Die Zeit der Philologie

Saturn, respektive sein griechisches Pendant Kronos, ist, mehr als alle anderen antiken Götter, ein Gott der Extreme, „god of opposites“.[13] Er ist nicht nur jener düstere, lebensfeindliche Zerstörer aller Dinge, der in der römischen Kaiserzeit auch zum Gott der Unterwelt wird, sondern zunächst ein Gott der Fruchtbarkeit. Als „Vater des Ackerbaus“ und Herrscher über das Goldene Zeitalter ist er „Gott des Reichtums und der Feldfrüchte“.[14] Diesem goldzeitalterlichen Saturn sind, vor allem, die Saturnalien im Dezember gewidmet; jenes exzessive Fest, das in Erinnerung an die mythische Urzeit alle Jahre wieder nicht nur den leiblichen Überfluss, sondern auch die Außerkraftsetzung der gesellschaftlichen Ordnung feiert.

Der Zeitpunkt dieses Fests ist bedeutsam: In der charakteristischen Ambivalenz des Jahresübergangs, einer chronologischen Schwellensituation, findet jene paradoxe Verschränkung von Fruchtbarkeit und Tod, die dem Namen Saturns eingeschrieben ist, ihr kalendarisches Pendant. Mit der Erneuerung des Zeitlaufs am Ende des Jahres feiern die Saturnalien mithin auch den masslosen Appetit der gefräßigen Zeit. So nämlich beschreibt Ciceros Schrift Über das Wesen der Götter (De natura deorum) Saturn:


Κρόνος enim dicitur, qui est idem χρόνος, id est spatium temporis. Saturnus autem est appellatus, quod saturaretur annis; ex se enim natos comesse fingitur solitus, quia consumit aetas temporum spatia annisque praeteritis insaturabiliter expletur.

Denn er wird Kronos genannt, was dasselbe ist wie chronos, d.h. Zeitraum. Saturnus aber heisst er, weil er mit Jahren gesättigt ist; man stellt sich vor, er pflege seine Kinder zu essen, weil die Zeit die Zeiträume verschlingt und mit vergangenen Jahren unersättlich überfüttert wird. (Cic. nat. deor. 2, 64)


Indem Cicero die Unersättlichkeit des mythischen Kinderfressers auf die abstraktere Zeit überträgt, zeichnet er das Bild jenes destruktiven tempus edax, in dessen Zeichen ich das philologische Lesen gestellt habe.

Es ist indes der Bemerkung wert, dass die zum Cliché gewordene Affinität der Philologie (der Buchgelehrsamkeit) zu Saturn eine konkretere Verbindung der ars critica zur personifizierten Zeit überdeckt. Sie wird im zitierten Passus De natura deorum sichtbar: Tatsächlich ist die Gottheit der melancholischen Lektüre, diese ambivalente Verkörperung von goldzeitalterlicher Fülle und unentrinnbarer Todesverfallenheit, das Produkt eines philologischen Akts. Sie ist hervorgegangen aus der allegorischen Zusammenführung von Kronos, dem Erntegott des paradiesischen Zeitalters, und Chronos, der flüchtigen, im ständigen Wechsel dem Ende zufliehenden Zeit. Κρόνος ≈ χρόνος. Das ist es, was die Philologie tut: Sie liest (sammelt) Worte zusammen, um aus deren Verbindung Sinn wie Funken zu schlagen.

Die col-lectio von Kronos und Chronos ist dabei von einer ganz besonderen Prägnanz: Schon in den Namen der Zeit ist mit dem Buchstabenwechsel ein deformierend-differierender Aufschub eingetragen; das Wissen der Schrift um die Uneinholbarkeit des Goldenen Zeitalters. In Erinnerung an den Mythos vom Untertauchen Saturns in Latium[15] könnte man sagen: Chronos erscheint hier als aus der Latenz getretener Kronos, als je schon verschobener Name eines paradiesischen (Ur-)Zustands, in dem die Erde ohne Zutun des Menschen Früchte trug.[16] Die Uneinholbarkeit eines Zeitalters, in dem – so besagt es der Mythos – geerntet wurde, ohne gesät zu haben, setzt ja auch Ovid so prominent ins Werk, wenn er die Schilderung der saturnia regna, der Herrschaft Saturns, ironisch mit den Worten beginnt (Ov. Met. 1, 89): „aurea prima sata est aeteas…“ – „ein goldenes Zeitalter entstand zuerst…“, wörtlich aber: „wurde zuerst gesät“ oder „gepflanzt“ (sata est). Wenn selbst das früheste Zeitalter gesät werden musste, heißt das nichts anderes, als dass es dieses Goldene Zeitalter als einen Urzustand nicht gibt. Mit der Verwandlung von Kronos in Chronos, wie sie Cicero rekonstruiert, hat die Philologie diese Unverfügbarkeit in den Namen der Zeit eingetragen.

Darin, dass es sich bei der paronomastischen Verdoppelung des Namens um das Produkt einer philologischen Operation handelt, liegt die tiefere Ironie – und die Melancholie – dieser exemplarischen Lesart: Als ein sinnstiftender Akt der Lektüre besiegelt der Buchstabenwechsel, der aus Kronos (auch) Chronos werden lässt, gleichsam performativ den Verlust der aurea aetas, jenes Goldenen Zeitalters, in dem die Furchen (versus) des Textes nicht beackert werden mussten, sondern von allein, ohne menschliches Zutun, Früchte trugen.

Allerdings ist auch klar: Wäre dieses Zeitalter nicht immer schon vorbei, gäbe es die Philologie nicht. Sprächen die Texte von selbst, wäre die Bedeutung der Worte über alle Zweifel erhaben, so müsste nicht im emphatischen Sinn gelesen werden. Dass sich also in der allegorischen Zusammen-Lesung von Kronos und Chronos zugleich – qua Buchstabenwechsel – die Operationen der Textkritik spiegeln, in der die Philologie ihr Fundament hat, lässt uns auf den Grund einer spezifisch philologischen Melancholie blicken: Als ars critica spezialisiert sich die Philologie auf eine notwendig invasive Arbeit am Text; man könnte sagen: sie bebaut den Acker der Schrift, treibt nach den Regeln ihrer Kunst Lesefrüchte hervor – im Wissen darum, dass jeder ihrer Akte das Ende der ,spontanen‘, ,natürlichen‘ Sinnstiftung bedeutet. 


pun(k) – Die Ungefügigkeit der Schrift

Indes zeigt sich gerade hier abermals das Doppelgesicht Saturns. Denn diese melancholisch-zeitverfallene Dimension der philologischen Lesekunst hat eine saturnalische Kehrseite. In der Verdoppelung der Namen, aus der die Gottheit Saturn hervorgeht, manifestiert sich nämlich zugleich jene unbändige Fruchtbarkeit der Sprache, von der zu aller erst die Literatur, sodann und mit ihr aber auch die Philologie zehrt. Es ist diese Fruchtbarkeit, welche die an den Saturnalien kultivierten Wortspiele hervorkehren, indem sie aus den in Bewegung versetzten Buchstaben eine cornucopische Fülle von Hinter- und Nebensinnen generieren:[17] god shave the queen – mit einem nachantiken Beispiel zu sprechen. Vom pun zum punk ist es tatsächlich nur ein Buchstabe, und ihre Nähe, so scheint mir, ist offensichtlich: Dem Wortspiel eignet etwas Revolutionäres, Anarchisches. Es spottet der illusorischen Stabilität sprachlichen Sinns, indem es scheinbar festgesetzte Bedeutungen deformiert, sie in Viel- oder Unsinnigkeit auflöst. „Punk sei Dank“, las ich gerade gestern wieder an einer Hauswand, und erinnerte mich an eine Bemerkung von Jörg Drews: „Der Kalauer“, schreibt Drews mit Blick auf die neuere Literatur, „verhält sich mimetisch zum Zustand einer sinnentleerten Welt“.[18] Darin erweist er sich als die Sprache des Punk. Dass der Punk in der Sprache, oder genauer: in der zum Graffito depotenzierten Inschrift, ein bevorzugtes Mittel seiner rebellischen Selbstinszenierung hat, hat ihn mir, als Philologin, immer schon besonders sympathisch gemacht. Wo Punks sind, ist alles – von den Wänden bis zu den Jacken und Körpern – über und über voll mit Text. Punks scheinen sich als ewig Untote („not dead“ – wieder eine Ähnlichkeit zur Philologie) in einem Raum der Schriftzüge eingerichtet zu haben; Schriftzüge, deren haarsträubende Qualität sie auf ihren Köpfen selbstbewusst zur Schau tragen. Mit ihren stacheligen Frisuren, den durchstochenen Gesichtern und beschrifteten Kleidern zelebrieren sie in karnevalesker Tradition die Verschränkung von σῶμα und σῆμα zum Körperzeichen/Zeichenkörper, in den sich figürlich die Gewaltsamkeit der Welt eingeschrieben hat. Im Überschuss an Bedeutungshaftigkeit, den ihr ebenso ärmlicher wie schreiend-exzentrischer Habitus transportiert, liegt die Nähe vom Punk zum pun.

In seiner exzessiven Bedeutungsproduktion widersetzt der pun sich dem Gesetz einer ökonomischen Verständigung; in ihm enthüllt die Sprache ihr freak-Gesicht, ihre genuine Unangepasstheit an die kommunikativen Verhältnisse. Um nur noch ein einschlägiges Beispiel für die Zusammengehörigkeit von Wortwitz und Punk zu geben: Das erste Studioalbum der deutschen Punkrock-Band Die Ärzte trug den Titel Debil (1984). Es wurde aufgrund seiner provozierenden Songtexte auf den Index für jugendgefährdende Medien gesetzt. Auf dem beinahe identischen Cover der 2005 veröffentlichten Neuauflage erschien der rote Schriftzug des Titels durch eine schwarze Übermalung korrigiert. Den daneben abgebildeten Mitgliedern der Band waren entsprechend Teufelshörnchen und Schwänze angesetzt. Warum ich gerade dieses Beispiel anführe, dürfte auf der Hand liegen: Diese spielerische Emendation ist Philologie als Punk, punk philology. Als eine demonstrative Selbstzensur verkündet das Buchstabenspiel die programmatische Oszillation des Punk zwischen Schwachsinn und Diabolik, zwischen nonsense und humoristischer Schwärze. Die Sprache macht’s möglich. Mit Finnegans Wake hat James Joyce ebendieser anarchischen Sprache ein unerschöpfliches Denkmal gesetzt. An der endlos fortkalauernden „sintalks“ (FW 269.3) dieses Textes wird evident, was Werner Hamacher über die Literatur überhaupt schreibt:


Literatur ist eine Sache der Sprache in extremis, an derjenigen Grenze, wo sie von einem ungeregelten, ungezähmten, einem wilden Affekt oder einem unkontrollierbaren Zufall angestoßen und durchstoßen wird.[19]


,Ungeregelt‘, ,ungezähmt‘, ,wild‘ ist die Literatur, wo sie der Sprache, oder genauer: der Schrift selbst die Bühne überlässt. „The proteiform graph itself is a polyhedron of scripture“ (FW 107.8), fasst Joyce die unkontrollierbare Vielsinnigkeit der Schriftzeichen, der sich sein wortspielerischer Text verschreibt.

Niemand ist, außer der Literatur, mit der im Buchstabenspiel sich bekundenden Fülle der Sprache inniger vertraut als die Philologie, Meisterin des langsamen Lesens. Als solche hat Nietzsche die Philologie, erinnernd an deren Fundament in der Kritik, nicht zuletzt gegen die Vorurteile der theologischen oder philosophischen Interpretation stark gemacht.[20] Zu lesen wie die Philologie, also „gut“ zu lesen, heißt für Nietzsche: „langsam, tief, rück- und vorsichtig, mit Hintergedanken, mit offen gelassenen Thüren, mit zarten Fingern und Augen lesen“.[21] Gerade in dieser umsichtigen Langsamkeit wird das philologische Lesen zum abenteuerlichen experimentum linguae, zur Erfahrung einer ungefügigen, eigensinnigen Sprache. Die Zeit, die sich die Philologie mit den Worten nimmt, die dauerhafte Aufmerksamkeit auf den Schrift-Körper, öffnet unweigerlich den Raum einer potentiell verwildernden Semiose des Buchstabenmaterials. Tatsächlich wird, wer von der Philologie herkommt, im saturnalischen pun, wie ihn die Gegenkulturen aller Zeiten zu nutzen wissen, ein Fest der verwilderten Lesarten erkennen – und im wortspielerischen Text einen, der an sich selbst die zerstörerische Produktivität der Philologie ins Werk setzt.

Dass auch das Lesen der hingebungsvollsten Philolog*innen nicht sicher ist vor der Verwilderung, die der Sprache innewohnt, dieses Wissen bewahrt der Aphorismus Lichtenbergs, der am Anfang meines Versuchs stand: „Er las immer Agamemnon statt ,angenommen‘…“ – Hier zeigt sich die Lektüre als jenes konstruktive Tun, als das die Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Poststrukturalismus, das Lesen für manche nobilitiert, für andere verdächtig gemacht hat. Die Einsicht, dass der Text in der Lektüre allererst, und immer wieder neu, hervorgebracht werden muss, begründet das Selbstverständnis einer niemals an ihr Ende kommenden Philologie.

Noch wo die ars critica, als Kunst der kritischen Textkonstitution, mit der sorgfältigen Umordnung der Buchstaben restitutiv gegen die Versehrungen der Zeit anzugehen meint, muss sie sich eingestehen, dass sie an diesen Versehrungen teilhat. Jeder Blick in den kritischen Apparat einer wissenschaftlichen Edition, auf die dort dokumentierten Konjekturen und Emendationen, lässt dies augenfällig werden. Was sich dort zeigt, die mitunter als frustrierend empfundene Vielzahl konkurrierender Lesarten, markiert indes zugleich den kreativen Freiraum, der mit dem irreparablen Verlust des Urtexts gewonnen ist. In diesem Freiraum richtet sich die Philologie nicht nur als unendliche Interpretation offener Werke ein, sondern auch als Textkritik: Indem sie beim Buchstaben verweilt, spezialisiert sich die ars critica auf die Arbeit in einem Schwellenbereich, in dem die Bedeutungen allererst zu konstituieren sind; einem chronotopischen Intervall zwischen Zeichen und Sinn.

Jede kritische Lektüre führt auf den doppelten Boden einer Schrift, die ebenso viel verbirgt, wie sie preisgibt. Debil oder Devil? Die skeptische Disposition der Philologie speist sich nicht zuletzt aus ihrer Einsicht in die materielle Bedingtheit eines Sinns, der sich mit nur einem Buchstaben in sein Gegenteil verkehren kann. Ihre innige Bekanntschaft mit dem mehr oder weniger versehrten Artefakt des Textes ist zugleich eine mit der semantischen Anarchie der Schrift. In der Sinnexplosion des Kalauers hat die Permutabilität der Buchstaben, mit der es die Philologie aufnehmen muss, ihre anarchische Sternstunde.

Damit ist hier ein anderes Bild von der Philologie sichtbar geworden als das eingangs evozierte: Philologie ist, gerade wo sie ihrem kritischen Fundament eingedenk bleibt, nicht so sehr die Bewahrerin autoritativer Texte, sondern die Bewahrerin eines Wissens um die Volatilität von Sinn. Indem sie ihre Kunst des Lesens als eine melancholisch-saturnalische Produktion von Lesarten vollzieht, praktiziert sie zugleich die Kritik an der einen, unverrückbaren Bedeutung. Darin liegt ihre Verwandtschaft zum Punk: Beide sind in gewisser Weise Parasiten einer symbolischen Ordnung, vor der ehrfürchtig niederzufallen sie sich weigern. Wo die Philologie Zweifel stiftet an der Eindeutigkeit der Welt, und der Skepsis gegenüber aller zwingenden Verbindlichkeit Vorschub leistet, tritt sie dem Punk, der die Literatur ist, zur Seite: „Philologie ist nicht Literatur, aber sie ist auch keine Philologie, wenn sie nicht gemeinsame Sache mit der Literatur macht.“[22] – „Er las immer Agamemnon statt ,angenommen‘“.





[1] Sudelbuch G 187

[2] Jean Paul: Leben des Quintus Fixlein. In: Jean Paul. Sämtliche Werke. Abteilung I, Bd. 4. Hg. v. Norbert Miller. Nachwort von Walter Höllerer. München 1996, 7–260; hier: 81. Die Werkausgabe wird im Folgenden abgekürzt unter der Sigle SW.

[3] Vgl. in diesem Sinne auch Till Dembeck: Texte rahmen. Grenzregionen literarischer Werke im 18. Jahrhundert (Gottsched, Wieland, Moritz, Jean Paul). Berlin/New York 2007, hier: 355–359.

[4] Jean Paul: Biographische Belustigungen. In: SWI/4, 261–480; hier: 372; 374.

[5] https://en.wiktionary.org/wiki/punk (aufgerufen am 23.7.2020)

[6] Robert Burton: The Anatomy of Melancholy. Intro. By H. Jackson. 3 vols. London 1932, 26.

[7] Ebd. 15.

[8] George Steiner: „Warum Denken traurig macht.“ Zehn (mögliche) Gründe. Aus dem Englischen von Nicolaus Bornhorn. Mit einem Nachwort von Durs Grünbein. Frankfurt am Main 2006.

[9] Hartmut Böhme, Natur und Subjekt. Frankfurt am Main 1996, 258.

[10] Walter Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers. In: Ders., Gesammelte Schriften, hg. von Tillmann Rexroth, Frankfurt am Main. 1972, Bd. IV. 1, 9–21.

[11] Ovid hat das vielleicht eindringlichste Bild dieser gefräßigen Zeit gezeichnet: „tempus edax rerum, tuque, invidiosa vetustas,/ omnia destruitis vitiataque dentibus aevi/ paulatim lenta consumitis omnia morte.“ – „Zeit, Verzehrer aller Dinge, und du, neidisches Alter/ alles zerstört ihr und benagt von euren Zähnen/ verleibt ihr euch langsam alles ein im Tode.“ (Ov. met. 15, 234–23)

[12] Jean Paul: Saturnalien, den die Erde 1818 regierenden Hauptplaneten Saturn betreffend In: SWII/3, 857–858.

[13] Raymond Klibansky, Erwin Panofsky, Fritz Saxl: Saturn and Melancholy. Studies in the History of Natural Philosophy Religion and Art. Nendeln/Liechtenstein 1979, hier: 134.

[14] Attilio Mastrocinque: Art. Saturnus. In: Der Neue Pauly, Bd. 11 (2001), 116–118; hier: 117.

[15] Vergil beschreibt den Mythos im achten Buch der Aeneis (Verg. Aen. 8, 319–322): Auf der Flucht vor Jupiter versteckte sich Saturn im Latium des Königs Janus, das seinen Namen (Latium) von diesem Verstecktsein (latere) des Gottes hat.

[16] „mox etiam fruges tellus inarata ferebat,/ nec renovatus ager gravidis canebat aristis“, „Bald trug die Erde auch ungepflügt Feldfrüchte, und ohne je zu ruhen, wurde der Acker gelb von schweren Ähren“ schreibt Ovid (Ov. Met. 1, 199–110).

[17] Ich habe diesen Wortspielen in einem früheren Essay für dieses Magazin einige Bemerkungen gewidmet: s. Sina Dell’Anno: oratio soluta. In: diaphanes-Magazin November/Dezember 2018 https://www.diaphanes.net/titel/oratio-soluta-5815.

[18] Jörg Drews: Auf dem Weg zum Denglitsch. Wie viel Angloamerikanisch verträgt die deutsche Sprache. In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1998. Darmstadt 1999, 61–75; hier: 68.

[19] Werner Hamacher: Für – die Philologie. Basel und Weil am Rhein 2009, 55.

[20] Nietzsches Beschreibung der Philologie zielt dabei offensichtlich auf deren ideologiekritische Dimension: „Philologie nämlich ist jene ehrwürdige Kunst, welche von ihrem Verehrer vor Allem Eins heischt, bei Seite gehn, sich Zeit lassen, still werden, langsam werden —, als eine Goldschmiedekunst und -kennerschaft des Wortes, die lauter feine vorsichtige Arbeit abzuthun hat und Nichts erreicht, wenn sie es nicht lento erreicht. Gerade damit aber ist sie heute nöthiger als je, gerade dadurch zieht sie und bezaubert sie uns am stärksten, mitten in einem Zeitalter der ,Arbeit‘, will sagen: der Hast, der unanständigen und schwitzenden Eilfertigkeit, das mit Allem gleich ,fertig werden‘ will, auch mit jedem alten und neuen Buche: — sie selbst wird nicht so leicht irgend womit fertig, sie lehrt gut lesen […].“ Friedrich Nietzsche: Morgenröthe (1886), Vorrede 5, In: KSA 3, 17. Tatsächlich liegt schon in der Exklusivität, mit der die Philologie sich dem Lesen verschreibt, an sich ein subversives Potential. Dies hat Paul de Man, der in Vielem an Nietzsche anschließt, in seinem essayistischen Aufruf zum Return to Philology bemerkt: „Mere reading, it turns out, prior to any theory, is able to transform critical discourse in a manner that would appear deeply subversive to those who think of the teaching of literature as a substitute for the teaching of theology, ethics, psychology, or intellectual history.“ Paul de Man: The Return to Philology. In: The Resistance to Theory. Minneapolis 1986, 21–24; hier: 24.

[21] Friedrich Nietzsche: Morgenröthe (1886), Vorrede 5, In: KSA 3, 17.

[22] Werner Hamacher: Für – die Philologie. Basel und Weil am Rhein 2009, 55.




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Sina Dell’Anno

Sina Dell’Anno

lebt, liest, schreibt und unterrichtet in Basel. Als Literaturwissenschaftlerin bewegt sie sich seit längerem sprunghaft zwischen Antike und Moderne. Sie ist Mitherausgeberin des online-Journals Bildbruch – Beobachtungen an Metaphern. Erschienen oder im Erscheinen sind unter anderem Texte zu Arno Schmidt, Jean Paul, Johann Georg Hamann, zur Romantheorie im 18. Jahrhundert und zur verfressenen Poetik der satura.