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Die weiche und wolllüstige Dekadenz des Ortes

Bruce Bégout

Der Mann aus Venedig

Veröffentlicht am 04.07.2017

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1.

Ich werde hier nicht von meinem Beruf sprechen. Er ist überhaupt nicht wichtig, um zu verstehen, was mir passiert ist. Ich hätte irgendeine Arbeit ausüben oder sogar arbeitslos sein können, an dieser Geschichte hätte das überhaupt nichts geändert.

2.

Es ist jedoch entscheidend zu wissen, dass ich einer der bekanntesten Urban Explorer der Welt bin. Ich praktiziere Urbex seit mehr als zwanzig Jahren und mein Blog ist der meistbesuchte im Netz. Ich habe dort hunderte meiner Besuche von vergessenen Orten zusammengestellt, verlassene Orte aus den entlegensten Winkeln der Erde beschrieben (Tunnel, Unterwasserstationen, Vergnügungsparks, Asyle, Fabriken usw.), Erzählungen von meinen Abenteuern an den ungewöhnlichsten und abgelegensten, die zeitgenössische Vorstellungskraft anregenden Orten geliefert. Jeder kennt und respektiert meinen Namen – ein eitles Pseudonym natürlich. Nur mein Gesicht kennt keiner. Mein Gesicht habe ich nie öffentlich gemacht. Das, was ich betrachte, ist von Bedeutung, nicht die Tatsache, dass ich es anschaue und noch viel weniger mein Kopf, der betrachtet.

3.

Im Unterschied zu anderen Urban Explorers werde ich mich nicht der jugendlichen Leidenschaft für verlassene Häuser und staubige Dachböden hingeben, den Expeditionen Pubertierender und derartiger Versteckspiele. Solche kindischen Erzählungen überlasse ich anderen. Denn erst spät hat sich in mir das ununterdrückbare Verlangen geregt, jenseits des Gewohnten, abgelegene, kaum bekannte und von Wenigen besuchte Orte zu durchstreifen. Ich glaube, dass es in der Folge einer Rucksackreise in den Süden Chiles begann. Ich hatte mich an den Rändern von Puerto Montt verloren, einer unbedeutenden Stadt, die in einer ganz und gar galileischen Präzision Wohn- und Gewerbegebiete aneinanderreiht, als ich aus Zufall (dieser große Operator aller Erneuerung) versteckt hinter einem dichten Gebüsch auf ein altes Krankenhaus stieß. Ich schaffte es, mir einen Weg zwischen Brombeersträuchern und Stacheldraht hindurch zu bahnen und unter Inkaufnahme von einigen Hautabschürfungen bis zu dem von wilden Gräsern überwachsenen zentralen Hof vorzudringen. Ich glaube, ich habe dort den ganzen Tag verbracht, ja fast die ganze Nacht (ich hatte eine Taschenlampe dabei, das Sesam-Öffne-Dich eines jeden Landvermessers), und diesen unermesslich großen und völlig ausgestorbenen Ort besichtigt: die ehemaligen Operationssäle, die heruntergekommenen, von einem violetten Schaum zerfressenen und von einem salpetergrünen Pilz überzogenen Krankenzimmer, die unterirdischen, labyrinthischen Gänge, wo hier und da noch immer in Pfützen aus bräunlich stinkender Brühe einige kaputte Apparate herumstanden. Ich war fasziniert von den noch sichtbaren Spuren des einstigen Ortes, dem unbrauchbaren Mobiliar, ja gar den Insassen, die ich aufgrund tausender Zeichen geradezu fühlen konnte. Es herrschte eine...

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Bruce Bégout

Bruce Bégout

ist Schriftsteller und Philosoph phänomenologischer Ausrichtung und hat sich als Autor literarischer Essays und Erzählungen einen Namen gemacht. Er forscht zur Urbanität, zum Allgemeinplatz und zum Alltäglichen, hat das amerikanische Motel in all seinen Facetten beschrieben und unterrichtet derzeit an der Universität Bordeaux.

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