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Anthony Grafton: Auf den Spuren des Allgemeinen in der Geschichte
Auf den Spuren des Allgemeinen in der Geschichte
(S. 73 – 95)

Der wilde Gott des Aby Warburg

Anthony Grafton

Auf den Spuren des Allgemeinen in der Geschichte
Der wilde Gott des Aby Warburg

Übersetzt von Martin Dehli

PDF, 23 Seiten

Trotz seines berühmt gewordenen Bonmots, wonach der liebe Gott im Detail steckt, wandte sich auch Aby Warburg gegen die historischen und philologischen Stoffhuber an den deutschen Universitäten, die ihren Studenten einimpften, dass nur das Detail als solches für die Wissenschaft von Bedeutung sei. Wie Anthony Grafton in seinem Beitrag zeigt, ging es Warburg darum, im Detail das Allgemeine und Repräsentative aufzuspüren. Streng genommen hätte das auch jeder andere Detailforscher für sich in Anspruch nehmen können, doch hatte Warburg gerade bei dem Kulturhistoriker Karl Lamprecht in Leipzig gelernt, am Beispiel von Gesten, Gebräuchen, Symbolen und Ritualen die allgemeine Entwicklung des menschlichen Bewusstseins zu studieren. Das Besondere an Warburg liegt darin, dass er das gründliche Studium des Details stets im Hinblick auf das Allgemeine einer Epoche oder einer Kultur verstand, gleichzeitig jedoch einer der scharfsinnigsten Kritiker einer Überbetonung des Allgemeinen war. »Entartung ins Grosszügige« nannte er diese Haltung, die er bei Houston Stewart Chamberlain, Werner Sombart und auch bei Lamprecht (er hätte dessen Leipziger Kollegen Friedrich Ratzel ebenso dazuzählen können) ausmachte. Von einer höheren Warte aus zu argumentieren, brachte es die Gefahr der Oberflächlichkeit, der journalistischen Popularisierung und Vereinfachung mit sich, wobei zu befürchten war, dass damit ein Verständnis der Komplexität des historischen Geschehens verspielt würde. Warburg fürchtete – ganz zu Recht – kaum etwas so sehr wie den Verlust des sozialen Gedächtnisses, weil er darin ein gewaltiges Potential für kulturelle und politische Beben erkannte. Chamberlain oder Spenglers Geschichtsphilosophie wären nur prominente Beispiele einer solchen Verabsolutierung des Allgemeinen, die sich gewollt und unverzüglich im Morast politischer Parolen befindet.

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Anthony Grafton

ist Henry Putnam University Professor of History and the Humanities in Princeton. 2002 erhielt er den Balzan-Preis für die Geschichte der Geisteswissenschaften und 2003 den Mellon Foundation Award for Distinguished Achievement in the Humanities. Zu seinen Forschungsinteressen zählen u.a. die Kulturgeschichte der europäischen Renaissance, die Geschichte des Buches und die Geschichte des
Gelehrtentums von der Antike bis zum 19. Jahrhundert.

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    In: David Gugerli (Hg.), Michael Hagner (Hg.), Caspar Hirschi (Hg.), Andreas B. Kilcher (Hg.), Patricia Purtschert (Hg.), Philipp Sarasin (Hg.), Jakob Tanner (Hg.), Nach Feierabend 2011

Michael Hagner (Hg.), Manfred D. Laubichler (Hg.): Der Hochsitz des Wissens

Der Begriff des Allgemeinen steht gemeinhin für den Gegensatz zum Besonderen, zum Einzelnen oder auch zum Teil(-weisen). Zum Allgemeinen vorzustoßen bedeutet, einen größeren Horizont abzustecken, der die Voraussetzung für weitergehende Erkenntnis bildet, aber auch gewisse Risiken mit sich bringt. In den Wissenschaften wird das Allgemeine erst im 19. Jahrhundert zu einer zentralen epistemischen Ordnungskategorie.

In dem Band geht es um die Wiedereingliederung von konzeptuellen und theoretischen Aspekten in die Wissenschaftsgeschichte nach dem »practical turn«. Das Allgemeine wird als praktisch relevanter Grundwert der Wissenschaften verstanden, mittels dessen Wissen generiert, strukturiert, verändert bzw. überhaupt erst verfügbar gemacht wird. Die Beiträge zeigen, wie das Allgemeine etwa in Biologie, Medizin, theoretischer Physik, Kultur- und Kunstgeschichte sowie der Philosophie zur Geltung gebracht wird. Wollte man diese scheinbare Vielfalt auf einen Nenner bringen, so könnte man vielleicht sagen: Zweifellos steckt der Teufel im Detail, doch zumindest das Versprechen auf höhere Erkenntnis steckt im Allgemeinen.

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