Eduardo Viveiros de Castro
Perspektiventausch
Die Verwandlung von Objekten zu Subjekten in indianischen Ontologien
Übersetzt von Wilfried Prantner
In seinem zuerst 2004 publizierten Essay »Perspektiventausch« skizziert Viveiros de Castro die ontologischen Grundlagen des Animismus als Umkehrung der Ontologie der Moderne. In der Moderne ist die Natur, d.h. der Körper, das gemeinsame Fundament menschlicher wie nichtmenschlicher Wesen, während die Kultur die Differenz zwischen ihnen erzeugt: eine Natur, viele Kulturen. Die amazonischen Arawaté vertreten die umgekehrte Position. Ihnen gilt die Kultur als Kontinuum, während die Differenzen in der Unterschiedlichkeit der Körper wurzeln: eine Kultur, viele Naturen. Daher nehmen alle Wesen sich selbst als Menschen und ihre Praktiken als Kultur wahr. Für den Jaguar ist Blut, was für uns Maniokbier ist, und was wir als schlammigen Tümpel erfahren, ist für den Tapir ein großer Festsaal. Dabei handelt es sich nicht um unterschiedliche Repräsentationen ein und derselben Welt. Alle nehmen die Welt auf die gleiche Art und Weise wahr, nur ist die Welt, die sie wahrnehmen, eine andere. Vor dem Hintergrund dieses »Anderen Multinaturalismus« muss Animismus als relationale Ontologie verstanden werden, die in ihrem Wahrheitsanspruch »unsere« spontane Ontologie und deren Wahrheitsanspruch herausfordert.