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Genieße!

Michael Heitz

Wong Pings "Who’s the Daddy"
»Sex is the language, not the message of my work«

Veröffentlicht am 25.10.2018

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»Sex«, schreibt die amerikanische Philosophin, Feministin und Filmtheoretikerin Joan Copjec »ist das strukturelle Versagen der Sprache selbst«. »Sex«, sagt Wong Ping, »ist die Sprache, nicht die Botschaft meiner Arbeit.«

Dass es in Wong Pings mittlerweile rund einem Dutzend Fünf-Minuten-Clips in grellbunter 1980er-Ästhetik um mehr als lustige Figuren geht, wird klar, sobald man sich mit ihnen – und den aus ihnen herausgeschälten Installationen – nur etwas intensiver befasst, denn der 1984 in Hongkong geborene und nach einem Studium in Australien wieder in der chinesischen Sonderverwaltungszone lebende Künstler dringt tief in die Zwangsstrukturen unserer Techno-Gesellschaften ein. Auch wenn Wong in einer nach Tiefenentspannung klingenden Selbstauskunft vorgibt, Animation sei für ihn eine Form von Meditation, ist doch offensichtlich, dass der Hintergrund nahezu aller seiner Geschichten – präzise erzählte, veritable Novellen – dem Verhältnis von Trieb und Kultur gilt. Die meist in Ichform sprechenden, knietief in männlich-allzumännlichem Selbstekel steckenden Figuren finden trotz aller Windungen kein Entkommen aus ihrem Unbehagen in der Kultur. »Das Kultur-Über-Ich hat seine Ideale ausgebildet und erhebt seine Forderungen«, schreibt Freud 1930, und Wong Ping antwortet im Hongkong des 21. Jahrhunderts mit subversivem Witz und schlafwandlerischer Belesenheit, indem er den Antagonismus von Sexual- und Destruktionstrieb in die Gegenwart der Dating-Apps und Emoji-Botschaften übersetzt, die Nebenwirkungen von Selfie-Narzissmus und digitaler Sozialoptimierung sardonisch protokolliert. Ob er die Zumutungen der gesellschaftlichen Realität, »mit der Domestikation gewisser Tierarten vergleichbar« (Freud), in zeitgenössische Fabeln von Mama Elefant und telepathisch heilender Kakerlake verlegt, den adoleszenten Nöten mit Schönheitschirurgie und Prothetik zu Leibe rückt, immer geht es um das Leiden am großen Imperativ: »Genieße!«.



Wong Ping: Still from Who’s the Daddy, 2017, single channel animation, 9 mins


Jungle of Desire (2015) etwa ist die Geschichte eines Mannes, der sich infolge Impotenz der Entscheidung seiner Gattin fügt, die sich zu ihrer eigenen Befriedigung in der gemeinsamen Wohnung prostituiert. Auf die Toilette verbannt, fristet er ein Leben als Voyeur. Als beide von einem der Freier, einem Polizisten, erpresst werden, entfacht das bei der Hauptfigur einen völlig enthemmten Zorn, der sich vom Wunsch nach Unsichtbarkeit bis hin zu Phantasien brutaler Vergewaltigung des Polizisten steigert, die diesen in den Selbstmord treiben – selbstredend am Ende nichts als ein Wunschtraum. In Doggy Love (2015) ist es die Geschichte eines pubertierenden Jungen, der ein Mädchen begehrt, dem die Brüste am Rücken gewachsen sind. Die Erzählung folgt dem Protagonisten in seiner Unfähigkeit zu sexueller Selbstkontrolle. Als sich beide schließlich regelmäßig zu treffen beginnen und die verdrehte Anatomie der titelgebenden Sexstellung es ihm erlaubt, sich »nicht mehr auf seine Phantasie« verlassen zu müssen, kann er endlich das rote Herz als Symbol der Liebe verstehen und »jene veraltete Frage aus dem Sexualkundeunterricht« beantworten: »Mein Herz ist das, was feucht wird, wenn du schreist«, wie es an anderer Stelle heißt. In einer symbolistischen, seiner vielleicht dunkelsten Geschichte, der 2015 entstandenen Zweikanal-Arbeit The Other Side, folgt man somnambul dem Weg des Erzählers, der mit einem Koffer voll Gebärmutterluft auf eine ominöse »andere Seite« zu kommen versucht, die nur über ein totales Vergessen erreicht werden kann. Die niederschmetternde Erkenntnis, in dieser Welt nichts als unrecycelbarer Abfall zu sein, lässt einzig die Rückkehr in den Schoß der Mutter als befreiendes Ziel übrig.

Wongs Arbeiten unterhalten erstaunliche Beziehungen zur europäischen Erzähltradition. Selbst nennt er die Grimm’schen Märchen und für seine neueste Serie, den zuletzt im New Yorker New Museum zu sehenden Fables I, auch Äsop als Inspiration und Vorbild. Surrealer Witz und der Einsatz eindeutiger Körperteile wie einer sich auf und davon machenden Nase in Emo Nose (2016) verweisen zudem auf Gogol und Collodi. Fabulierlust, derbe und sprunghafte Handlungen erinnern an die Canterbury Tales oder Boccaccios Decamerone, die nicht zufällig von einem geistigen Verwandten Wongs adaptiert wurden, der die Fratze des neuen Faschismus schon vor langem im Konsumismus erblickte: P. P. Pasolini – von dem man sich gut vorstellen könnte, dass er sich heute der künstlerischen Mitteln eines Wong bedienen würde. Im Gegenzug finden sich in Pasolinis Freibeuterschriften von 1975 Titel wie »Der Koitus, die Abtreibung, die Schein-Toleranz der Herrschenden, der Konformismus der Progressiven«, die auch von Wong stammen könnten.


Als eigentliches Pièce de Résistance Wongs erscheint der 2017 in Verbindung mit installativen Arbeiten gezeigte Clip Who’s the Daddy. Der Künstler bezeichnet den Stoff als eine von einer wahren Begebenheit inspirierte »Tinder-Tragödie«, als »ein unerwartetes Kind, als Suche nach den Wurzeln der eigenen Schmach.« Dem Clip ist ein bei Yahoo gefundenes Sexualratgeberzitat vorangestellt: »Der Penis ist normalerweise gebogen. In nicht-erigiertem Zustand ist die Biegung natürlich nicht sichtbar. Wenn erigiert, ist er entweder nach links oder rechts gebogen. In einer kultivierten Gesellschaft existiert ein gerader Penis nicht.«

Hula-Hoop-Reifen schwingend sinniert eine Figur namens Wong Ping angesichts seiner von Natur aus eigenen Defizienz – »oh inch of nature« (Freud) – über die politischen Implikationen und zieht persönliche Schlussfolgerungen aus dem obigen Diktum:

»Liegt es daran, das ich in der Minderheit bin? Oder daran, dass ich mich in einer unkultivierten Gesellschaft befinde? Mein winziger, gerader Penis findet in keiner Statistik Berücksichtigung. Die Leute leugnen gar seine Existenz. Ich glaube langsam wirklich, dass die Gesellschaft, in der ich lebe, unkultiviert ist. Viele der politisch Unkorrekten würden Penislänge als ein Rassenproblem betrachten. Mit einem Durchschnitt von 4.4 Inch steht der chinesische Mann fast am Ende der Rangliste. Berücksichtigt man aber die Größe der Bevölkerung und fügt alle zusammen, reicht er 6 Mal um die Erde. Damit wäre Indien, der Zweitplatzierte, locker geschlagen. Wir würden sogar gewinnen, wenn jeder beschnitten wäre. Also identifiziere dich vor allem mit China. Hongkonger schaffen es kaum mehr als 0.03 Mal um die Welt.«



Wong Ping: Still from Who’s the Daddy, 2017, single channel animation, 9 mins


GutGutGut nennt sich die fiktive Dating-App, für die der Protagonist seine Selfies schießt, während das politische Rechts-links-Schema in der Tablet-Wischbewegung zur Partnerselektion seine Fortsetzung findet. Das schließlich in völliger Unbeholfenheit gewählte Date (»Von einem einzigen Porträt auf die politischen Ansichten zu schließen ist schwierig.«) entpuppt sich als christliche Gegnerin des vorehelichen Koitus, was in der ersten gemeinsamen Nacht zu der einst von der Mutter initiierten Lektüre Grimm’scher Märchen zwingt. Während der Lektüre jedoch wird plötzlich seine Faust von der Vagina seiner Bekanntschaft verschlungen, die ihn nichtsdestotrotz an die voreheliche Keuschheitspflicht gemahnt. Als von Natur aus unterwürfiges Wesen folgt er dem Befehl fortzufahren willfährig. Zur einzigen durch den Glaubenskodex gedeckten Sexualpraktik der beiden wird so die Arbeit der Faust im Unterleib der Frau. In Erinnerung an die eigene Mutter, eine behände Meisterin von Schattenspielen, beginnt er, die Umrisse eines Embryos von innen an die weibliche Bauchdecke zu zeichnen. Das angestrengte Bemühen, es mittels Handarbeit und halluzinatorischem Genießen bis zur Autogamie zu bringen, fordert allerdings rasch Tribut. Erschöpft bricht Wong Ping die Beziehung erst einmal ab, was zu einer rabiaten Reaktion führt: Mit ihrem Pfennigabsatz foltert die enttäuschte Liebhaberin den Augapfel des »phallozentrischen Exklusivisten« und reißt ihn aus der Augenhöhle. Als Sühne für diese Kastration offeriert die gläubige Sünderin ihm später in einer Vakuumverpackung einen künstlich befruchteten, abgetriebenen Embryo. Auf derart perverse Art in die Vaterrolle gebracht, spielt auch Wong Ping seinem Kind jenes Duett von Vater und Sohn vor, das den Imperativ der Mutter zu absoluter Vaterliebe repräsentiert und in dem er die Quelle seiner eigenen Schande erkennt.

»– Papa, was passiert, wenn ich aufhöre, dich zu lieben.

– Das Gras wird aufhören zu wachsen, wenn du respektlos wirst. Der Himmel wird dunkel bleiben den ganzen Tag, der Wind wird nicht mehr wehen. Lass dir sagen: Wenn du eine schöne und glückliche Welt willst, dann musst du deinen Vater leidenschaftlich küssen.«


Wong Ping: Still from Who’s the Daddy, 2017, single channel animation, 9 mins



Dass der Künstler außer recht stereotyper Kritik an seinen vordergründig pornographischen Inhalten bislang offenbar noch keine Probleme mit den staatlichen Autoritäten hat, ist erstaunlich, aber vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass dick aufgetragene Perversionen in bunten Clips wie Deckbilder fungieren oder aber die Zensoren von den sie allzu frontal betreffenden Figuren mit Blindheit geschlagen werden. Wongs Arbeiten gehören aktuell jedenfalls zu den stärksten Reflexionen auf den brennenden Machtfeldern jenseits des Lustprinzips.


All images courtesy of Edouard Malingue Gallery and the artist.

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