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Luc Mattenberger – Surrogate Peace

 

Espace DIAPHANES Zürich

26.11.2022–27.01.2023

Opening: Freitag 25.11.2022, 18–21 Uhr

 

 

Curated by Damian Christinger

 

 

Der Anblick ist in seiner Banalität verstörend: Menschen in Maschinen gespannt, ächzend und stöhnend, der Schweiss rinnt in Strömen, ab und an löst sich ein Schrei. Der Vergleich zwischen einem Folterkeller und dem zeitgenössischen Fitnessstudio ist wohl so alt wie die Einführung von Fitnessgeräten in den Alltag des postindustriellen Arbeitenden im globalen Norden. Die Menschen, die im Studio leiden, sind keine Spitzensportlerinnen, Athleten oder Gladiatoren, die sich quälen, um Ruhm, Ehre und Reichtum zu erlangen, sondern jene, die im Grossraumbüro auf Bildschirme starren, Gestelle einsortieren und an Schaltern stehen. Viele behaupten die Packerei sei ihr Ausgleich.

 

Wenn wir nicht auf und an Maschinen trainieren, um gesund zu bleiben, immer älter zu werden und dabei noch möglichst gut auszusehen, sitzen wir auf Yoga-Matten und meditieren, lernen zu atmen und innerlich achtsam zu sein. Wir streben den totalen Menschen an, mens sana in corpore sano, aber auf Vitaminpillen. Dabei haben sich die Maschinen, in die wir uns spannen, längst weiterentwickelt, sie reagieren heute auf präzise Daten, die wir in ein smartes Armband oder eine App speisen, und verbinden sich mit allen anderen Aspekten unseres Lebens.

 

Die Algorithmen messen unseren Blutdruck und die Herzfrequenz und empfehlen zur Not auch einen Podcast, den wir zur Meditation oder dem autogenen Training nutzen können. Gleichzeitig zerstückeln sie unseren Körper, den wir so verzweifelt ganzheitlich zu machen versuchen, wie Hito Steyerl im Aufsatz «Proxy-Politik: Signal und Rauschen» (auf Deutsch im Buch Duty Free Art: Kunst in Zeiten des globalen Bürgerkriegs erschienen) schreibt: «Aber die Netzwerke haben sich so verändert, dass sich nahezu jeder Parameter einer repräsentativen Politik verändert hat. Heute sind mehr Menschen als je zuvor in der Lage, eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Selbstdarstellungen hochzuladen. (...) Dabei ist Ihr eigenes Gesicht dabei, entkoppelt zu werden – nicht nur von ihrem Hintern, sondern auch von Ihrer Stimme und Ihrem Körper.»

 

Das Gesicht wird zu einem reinen Element, schreibt sie weiter, «ein Bild ist immer weniger eine Repräsentation als vielmehr ein Proxy, ein Söldner der Erscheinung, eine flottierende Textur-Oberflächen-Ware». Luc Mattenbergers Installation im Espace Diaphanes Zürich setzt hier an, wenn er uns einen Spiegel vorschlägt, durch den eine Maschine einen pseudoberuhigenden Text vorträgt, so als ob wir uns bei unserem eigenen Anblick achtsam sammeln könnten. Die Meditationsplattform im Zentrum des Raumes, mit ihrer Wassersäule, die sich bewegt, kann und soll uns beim Meditieren helfen. Beobachtet werden wir dabei jedoch von Kameras, die im Raum installiert und deren Bilder auf einer App für Befugte zugänglich sind.

 

Wir mögen die Glocke anschlagen, die von der Decke hängt wie in einem Tempel, oder verlieren uns in den Grautönen einer abgedruckten Maske, nehmen das Buch von Hito Steyerl zur Hand. Im Hintergrund plappert der Spiegel weiter, fordert durch seine Präsenz dazu auf, unser Gesicht anzuschauen. Die Frage, die sich in dieser Konstellation von Mattenberger stellt, ist dann nur, ob wir uns wie Schneewittchen oder die böse, altgewordene Königin fühlen. Frieden mit uns selbst scheint in diesem Setting kaum möglich, der Raum ist kein Tempel, sondern ein Kiosk für kritische Texte. Vielleicht, wenn wir uns mit den Maschinen versöhnen? Uns noch weiter einspannen lassen? Uns delegieren? Der Prozess, dem wir uns auf der Meditationsplattform aussetzen, ist unbequem, der Gitterrost schmerzt nach spätestens fünf Minuten. Kommen wir durch diese Schmerzphase durch, winkt die Erlösung, eine Unio mystica mit dem Gestell und der Umgebung. Steyerl schreibt auf Seite 46 des Buches im Gestell zu unserer Linken: «In dem Masse, wie Menschen Gefühle, Gedanken und Sozialität in Algorithmen einspeisen, wirken die Algorithmen zurück auf das, was man einst als Subjektivität bezeichnete.» Das Selbst löst sich auf, Nirvana als Surrogate Peace.

 

 

https://www.lucmattenberger.com

 

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Espace DIAPHANES Zürich
Löwenbräukunst, Ebene A
Limmatstrasse 270

 

Öffnungszeiten

Montag – Freitag 8 – 20h
Samstag / Sonntag 10 – 18h

 

Luc Mattenberger

geboren 1980 in Genf, absolvierte ein Diplom und anschliessend ein Nachdiplomstudium in Bildender Kunst an der Haute école d’art et de design de Genève (HEAD). Er arbeitet hauptsächlich im Bereich der Skulptur und der Installation. Er erforscht die vielfältigen Konnivenzen zwischen Mensch und Maschine, mit einem besonderen Interesse für den Motor als Vektor und Symbol der Macht. Im Laufe seiner Karriere wurde der Künstler mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kunstpreis der Schweizerischen Nationalbank, dem Preis der Stadt Genf, dem Preis der UBS-Stiftung sowie dem Eidgenössischen Kunstpreis (Swiss Art Award). Er erhielt Residenzen in London, Marfa, Berlin, am Schweizer Institut in Rom, in Paris sowie in Prag. Mattenberger ist Mitbegründer und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Coma.

Sein Werk wurde vielfach ausgestellt, zuletzt in folgenden Einzelausstellungen: Keep it Safe, Kunsthalle Vebikus, Schaffhausen (2022), You Look Like I Feel, Zqm, Berlin (2021), Feeling, Feeding, Fitting, Porte-clés, Zürich (2021), Dopamine Crush, La Ferme de la Chapelle, Lancy (2020), 2019 The Timbre, The Tone, The Duration, Halle Nord, Genf (2019)